Frühere Ausstellung 2015

 

Eröffnungsrede von Dr.med. Stefan Walther

23.6.2015, Kreuzgang des Kloster "Unserer Lieben Frau"

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

ich begrüße Sie ganz herzlich zur heutigen Eröffnung der Ausstellung „Grenzenlose Menschlichkeit“ im Rahmen einer kleinen Veranstaltungsreihe „Albert Schweitzer im Kloster“.

 

Liebe Schwester Martina, liebe Schwestern,

 

ich freue mich heute bei Ihnen hier im Kreuzgang mit Albert Schweitzer aufkreuzen zu dürfen und bedanke mich ganz herzlich dafür.

 

Albert Schweitzer: Pfarrer zu Sankt-Nikolai in Strasbourg, Doktor der Philosophie, Professor der Theologie an der Universität Strasbourg, Bachkenner, bekannter Konzertorganist und gefragter Orgelexperte.

Das alles gab Albert Schweitzer im Alter von 30 Jahren auf um ein 3. Studium zu beginnen, Arzt zu werden und 1913 in Lambarene ein Spital zu gründen.

Was bewegte Albert Schweitzer, eine glänzende und angesehene akademische Karriere aufzugeben, sein vertrautes und geliebtes Elsass zu verlassen ?

 

Die Antwort möchte ich Ihnen mit seinen eigenen Worten geben:

Mich überfiel der Gedanke, dass ich mein Glück nicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen dürfe, sondern etwas dafür geben müsse. Ich wurde mit mir selber dahin eins, dass ich mich bis zu meinem 30. Lebensjahre für berechtigt halten wollte, der Wissenschaft und der Kunst zu leben, um mich von da an einem unmittelbaren menschlichen Dienen zu weihen. Gar viel hatte mich beschäftigt, welche Bedeutung dem Worte Jesu „Wer sein Leben will behalten, der wird es verlieren, und wer sein Leben verliert, um meinet- und des Evangeliums willen, der wird es behalten“, für mich zukomme. Jetzt war die Bedeutung gefunden.

Arzt wollte ich werden, um ohne irgendein Reden wirken zu können. Das neue Tun aber konnte ich mir nicht als ein Reden von der Religion der Liebe, sondern nur als ein reines Verwirklichen derselben vorstellen.

 

In diesem Punkt liegt die ganze Aktualität und Radikalität von Albert Schweitzer. Die intensiv durchdachte Abwendung von einem klassischen bürgerlichen Leben mit all seinen Annehmlichkeiten hin zu einer radikalen und somit grenzenlosen Menschlichkeit. Wer soll denn helfen, wenn nicht wir? Wofür leben wir in Frieden, Freiheit und Wohlstand? Für Albert Schweitzer erwächst aus solchen glücklichen Umstände eine große Verantwortung oder gar Verpflichtung denen beizustehen, die in weniger glücklichen Umständen leben – und davon gibt es wahrlich zu viele Menschen. 

2 Jahre nach seiner Ankunft in Lambarene formulierte Schweitzer die Ethik der Ehrfurcht vor allem Leben.

 

Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das auch leben will.

Gut ist Leben erhalten, Leben fördern, entwickelbares Leben auf seinen höchsten Stand bringen.

Böse ist Leben vernichten, Leben schädigen, entwickelbares Leben niederhalten.

 

Das war 1915 und hundert Jahre sind seitdem vergangen. Ich möchte Sie mit dem Besuch dieser Ausstellung einladen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen:

Was ist mir wirklich wichtig?

Wie kann ich Leben erhalten und leben fördern?

Wo schädige und vernichte ich Leben?

Wofür will ich mich einsetzen?

Wofür meine Zeit und auch mein Geld verwenden?

 

Jetzt möchte ich Ihnen noch in 5 Minuten versuchen darzustellen, wo das Denken und Leben von Albert Schweitzer mich persönlich am meisten berührt.

 

Seit 15 Jahren setze ich mich intensiv mit dem Denken und Leben von Albert Schweitzer auseinander. Ich hatte zweimal die Gelegenheit das Spital in Lambarene zu besuchen und seit 4 Jahren bin ich 2. Vorsitzender der Deutschen Albert Schweitzer Stiftung. Dabei liegt mein Hauptinteresse viel mehr in Schweitzers ethischen Überlegungen als in seinem medizinischen Wirken in Lambarene.  

 

Eine Textstelle bewegt mich seither besonders. Es war 1999, wir hatten vor wenigen Monaten ein Baby mit einem schweren Herzfehler verloren und ich las :

 

So sehr mich das Problem des Elends in der Welt beschäftigte,

so verlor ich mich doch nie in Grübeln darüber,

sondern hielt mich an den Gedanken,

daß jedem von uns verliehen sei,

etwas von diesem Elend zum Aufhören zu bringen.

 

Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr locker, motiviert mich seitdem mich zu engagieren, mich in die Gesellschaft einzubringen. U.a. war es auch für mich der Grund, zu unseren zwei Kindern, noch zwei Kinder aus Haiti zu adoptieren. Der Grund nur drei Tage pro Woche zu arbeiten, geringeres Einkommen in Kauf zu nehmen aber dafür mehr Zeit für meine Familie und mein Engagement zu haben.

 

Schweitzer formulierte es anderer Stelle so: ein jeder finde sein eigenes Lambarene, an der Stelle im Leben wo er steht und wo er kann. Damals nannte er es Nebenamt, also eine Betätigung neben seinem Beruf und neben seiner Familie, heute spricht man vom Ehrenamt, dass gestärkt werden soll.

 

Die Ausstellung ist überschrieben mit „Grenzenloser Menschlichkeit“ und genau dies ist damit gemeint: wo es geht und wo man kann, sich für Mitmenschen, für Menschen einzusetzen, sei er schwach oder krank, sei er jung oder alt, Mann oder Frau, sei er in Offenburg, Ghana oder Lambarene.

 

Meist kommt reflexartig der innere Widerstand, nicht schon wieder ich, nicht gerade heute, nicht gerade der Mann der dort auf der Brücke sitzt, nicht schon wieder ein Spendenaufruf im Briefkasten. Es sollen doch die machen, die mehr Zeit haben als ich. Es sollen doch die geben, die mehr haben als ich.

 

Zu diesem Punkt möchte ich Ihnen zum Abschluss gerne noch einen Gedanken aus einer Sonntags-Predigt mitgeben  :    

 

Gestattest du dir etwas, das nicht zum Lebensnotwendigen,

sondern der Erholung oder der Genugtuung am Schönen und Angenehmen dient,

so nimm ungefähr den gleichen Wert und bestimme ihn für Wohltaten.

 

Schränke deine Lebensverhältnisse ein,

dass du habest zu geben.

Revidiere deine Lebensführung und die

der Deinen und schau, was du sparen könntest,

um reich zu sein zum Wohltun.

Lasst uns so einfach wie möglich leben,

dass wir haben zu geben.

 

Versuchen Sie mal beim nächsten Restaurantbesuch, Kinoabend, T-Shirt-Kauf oder vielleicht sogar beim Sommerurlaub den gleichen Betrag den sie ausgeben auch zu spenden. Albert Schweitzer rät uns, immer eine Stufe unter unseren Möglichkeiten zu leben. Und nicht nur Albert Schweitzer rät uns dass, sondern auch die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich, auch unser CO2-Verbrauch, unser Klima, unsere Umwelt verlangt, dass wir sogar zwei Stufen unter unseren Möglichkeiten leben müßten. Genauer gesagt müßten wir unseren Verbrauch, unseren Konsum, d.h. unseren ökologischen Fussabdruck auf die Hälfte, wenn nicht sogar auf ein Drittel reduzieren.

 

Ich wünsche Ihnen eine spannende Ausstellung „100 Jahre Ehrfurcht vor dem Leben“  und lassen Sie sich von Alberts Schweitzer „grenzenloser Menschlichkeit“ bewegen und inspirieren.

 

 

Presseberichte:

http://www.bo.de/lokales/offenburg/ausstellung-ehrt-den-urwaldarzt-schweitzer